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Die Schwarze Szene
Dr. Hansjörg Hemminger
(einige Zitate aus Harald Lamprecht: Düstere Mode auf confessio.de)
Die Goths
Wer in schwarzer Kluft herumläuft und die "schwarzen Diskos" aufsucht, ist in aller Regel kein Satanist. Er gehört einem Milieu an, das sich in den letzten Jahren immer mehr verbreitet hat, nämlich den Goths oder Gothics. Die Anfänge der Schwarzen Szene, oder die der Wavers, wie sie früher genannt wurden, liegen im England der späten 70er Jahre und entstanden aus dem Punk heraus. Bands wie The Cure, Sisters of Mercy, Depeche Mode und andere prägten ihren Stil. Das Wort "Gothic" bezieht sich auf die "gothic novels", die englischen Schauerromane des 18. und 19. Jahrhunderts. Der Name Grufties wurde den dick geschminkten, schwarzlippigen Girls mit den kalkweisen Gesichtern von außen angehängt. Viele empfanden das Wort zuerst als Beschimpfung. Jetzt nennen sich die Goths zum Teil selbst so. Die Schwarze Szene ist jedoch in sich vielfältig, was die Musik, das Erscheinungsbild und die vertretenen Ideen angeht. Man hört Musik der Richtungen Darkwave, Wave, Gothic und Gothic-Metal. Die Farbe Schwarz herrscht vor, aber individuelle Vorlieben werden deutlich zur Schau getragen. Es wird geschminkt, toupiert, gestylt und behängt. Künstlich verstärkte Augenringe, blasse Gesichter, lange Lodenmäntel, schrille Frisuren und dazu Amulette, Ketten, Eisen Nieten und Totenköpfe gehören dazu. Einige Gothics dekorieren ihre Zimmer mit Kerzen, Totenköpfen und Bildern von Beerdigungen. Sie lassen sich von schaurig mystischen Götterkulten aus der keltischen und germanischen Vergangenheit faszinieren, tragen schwarze Kleider mit Spitzen-Dekolleté und halten nachts an angeblichen alten Kultplätzen ihre Treffen ab. Man bestellt seine Devotionalien über das Internet oder anhand der Anzeigen in den Musik-Magazinen Legacy, Orkus oder Gothic. Die Symbolik kreist um die mystische und dunkle Seite des Daseins: Angst, Tod, Vergänglichkeit. Damit verbindet sich ein Lebensgefühl, das im Gegensatz zur vorherrschenden Kultur steht. Schwarz drückt die Abgrenzung zur Spaßgesellschaft aus, die Sterben und Vergänglichkeit verdrängt. Aus der öden Leistungsgesellschaft flüchtet man in eine düstere Phantasiewelt, in der Kirchenruinen und stille Landschaften, Grabmale und Friedhöfe, Engel und Dämonen immer wiederkehrende Motive sind. "Gothic zu sein bedeutet für die meisten nicht, ständig unter Depressionen zu leiden, sondern die schwarze Seite des Lebens zuzulassen." drückt ein Insider sein Lebensgefühl aus.
Vielfalt und Gegensätze
Die Goths reagieren auf gesellschaftliche Defizite und erheben ihren Protest - zum Teil in extremer Weise - zum Programm. Religiös sind sie zuerst einmal nicht festgelegt, es gibt auch christliche Jugendliche, die dieser Szene angehören. Die Vielfalt macht es schwer, allgemeine Aussagen zu machen und Wertungen zu geben. Einige Goths bewegen sich zum Beispiel auch in der Szene der Black und Death Metal-Musik, und bringen beides zusammen. Andere lehnen genau diese Szene ab, weil sie ihnen zu aggressiv und zu provokant ist, und weil sie mit dem dort häufigen Rechtsextremismus nichts zu tun haben wollen. Ein ganz anderer Musikstil, nämlich Neo-Folk, wird zum Beispiel durch die deutsche Band "Subway to Sally" vertreten. Schwarze elektronische Musik gehört, nach Aussagen einiger Goths, zu ihrem Stil. Andere sagen das Gegenteil, diese elektronische Musik sei der Stil der Sado-Macho- und der Fetisch-Szene und gehöre nicht in ihre Welt. Jugendliche der Schwarzen Szene befassen sich manchmal - wenn auch keineswegs mehrheitlich - mit okkulten Praktiken, und einige finden den Satanismus richtig. Praktizierende Satanisten, die auf Friedhöfen schwarze Messen feiern und die satanische Bibel von LaVey lesen, sind jedoch eine kleine Minderheit. Allerdings kann nicht übersehen werden, dass sich mit dem Interesse an Magie und Mystik eine Affinität zu neuheidnischer Religiosität verbindet. Kelten und Druiden, Germanische Gottheiten und neues Hexentum finden in der Szene Interessenten. Damit verbindet sich wiederum nicht selten ein antichristlicher Affekt. Namen von Bands wie "Christian Death" und deren Texte lassen es an Deutlichkeit nicht fehlen. Das Szenemagazin "Orkus" schreibt z. B., das Anliegen der amerikanischen Band "Christian Death" sei es, "mit häretisch anmutenden Texten die verlogene Gottesfürchtigkeit und sexuelle Verklemmtheit ihrer Landsleute offenzulegen und zu stigmatisieren". "Die Untoten" publizierten 1999 ihre CD "Schwarze Messe". Auf ihr Verhältnis zum Satanismus angesprochen äußerten sie: "Wir fürchten weder Gott und seine Anhänger noch Satan, denn (es mag ein Geheimnis sein!) es gibt sie beide nicht. Es gibt nur die Hölle auf Erden und den Himmel und das Feuer über und in uns. Im herkömmlichen Sinne aber sind wir: Antichristen!" Manch einer trägt sein Kreuz verkehrt herum am Hals, ein bekanntes satanistisches Symbol. Was er damit verbindet, muss allerdings persönlich erfragt werden. Mit Satanismus im engeren Sinn will die Masse der Gothics nichts zu tun haben und bemüht sich um eine Abgrenzung. Diese ist Angesichts manch äußerlicher Nähe auch nötig. Ähnliches gilt gegenüber der Unterwanderung durch rechte Ideologie. Durch das gemeinsame Interesse an heidnischen Kulten, nordischer und germanischer Mythologie ergeben sich Berührungspunkte. Eine Abgrenzung ist im Gange, es existiert eine Bewegung "Grufties gegen rechts", aber eben auch ein rechter Rand innerhalb der Szene.
Risiken und Nebenwirkungen
Die Grufties sind eine weithin unpolitische Jugendszene, die sich trotz der gemeinsamen Herkunft von den politisch radikalen Punks abhebt. Meist stammen sie aus dem Bürgertum, sie sind Studenten und jungen Angestellten, und häufig recht bildungsbeflissen. Im Unterscheid zur aggressiven Dark-Metal-Szene sind Gothics in der Regel strikt gewaltlos. Gewalt gilt ihnen als Ausdruck eines primitivem Geists und der Unfähigkeit zum Reden. Gothics reden über alles - über ihre Probleme, ihre Musik, ihre Freunde, sie schreiben Gedichte, lesen Novalis und Nietzsche. Sie sind moderne Romantiker, und haben als solche Ähnlichkeit mit den Vertretern der deutschen Romantik, sowohl was den Hang zum Vergänglichen wie die gesellschaftliche Außenseiterrolle angeht. An den Rändern der Schwarzen Szene kommt es jedoch gelegentlich zu Grenzüberschreitungen. Hier wäre die Szene selbst gefordert, Abgrenzungen vorzunehmen. Auch über manche Liedtexte müsste kritisch nachgedacht werden. Kritik ist aber nicht unbedingt die Stärke einer Szene, die radikale Individualität mit einer Event-Kultur verbindet. Trotz ihrer Friedlichkeit ist die Schwarze Szene eine Protestkultur, die stärker von dem bestimmt wird, wogegen man ist, als von verbindenden Werten und Zielen. Sie legt den Finger auf eine Wunde unserer Gesellschaft: die Verdrängung des Todes und die Verniedlichung des Bösen. Sie hält der Spaßgesellschaft, der Medienwelt der Schönen und Jungen, der Welt der ewig Erfolgreichen, einen Spiegel vor. Ihre Totenköpfe sagen uns, dass sich hinter dem geschminkten Fleisch auch bei uns nichts anderes verbirgt. In der Barockzeit hätte man diese Symbolik christlich gedeutet, nämlich als "memento mori". Ihre Gewaltbilder sagen uns, dass die zerstörerische Möglichkeit des Hasses und der Verneinung in uns allen angelegt sind. Allerdings verharrt die Szene auch häufig im Dagegensein, sie führt nicht zu Antworten, mit denen man leben kann. Sie provoziert lediglich, indem sie demonstriert, was die übrige Gesellschaft nicht sehen will. Vergänglichkeit, Tod und Gewalt sind uns aber viel zu nahe, als dass man sie leicht nehmen könnte. In der Jugend sieht es so aus, als seien die Totenköpfe und die blutüberströmten Leichen weit weg. Aber das ist eine perspektivische Täuschung, denn auch für junge Leute gilt, dass sie mitten im Leben vom Tod umgeben sind. "Damit spielt man nicht" müssen wir den Grufties sagen, die sich allzu sehr an Todes- und Nachtgedanken, an Mord- und Blutrhetorik aufgeilen. Es ist möglich, das es beim Spiel bleibt - Gott sei Dank ist das bei den meisten so. Nur die Jugend kann überhaupt auf die Idee kommen, mit Todes- und Schmerzerfahrungen zu spielen, genau genommen nur eine im Wohlstand lebende und äußerlich geborgene Jugend. Es ist kein Zufall, dass die meisten Gothics (anders als viele jugendliche Satanisten) Kinder des gesicherten Bürgertums sind, Kinder, die alles hatten: Nahrung, Kleidung, Wohnung, medizinische Versorgung, Unterhaltung, Freiheit, sogar Erfolg - nur keine Antworten.
http://www.gemeindedienst.de/weltanschauung/texte/schwarz.htm
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