Allgemein (2)
Rating: 0 (0)


[b]Quanten & Computer: Wie Rechner sich in parallelen Welten bewegen könnten [/b] -------------------------------------------------------------------------------- Im Los Alamos National Laboratory wollen Physiker bis zur Jahrtausendwende einen Computer bauen, der nur eine einzige Aufgabe bewältigen kann: die Zahl Vier in ihre Primfaktoren zerlegen. Ihre Kollegen in Boulder, Colorado, wollen Fünfzehn faktorisieren. Die Ergebnisse (zwei mal zwei beziehungsweise drei mal fünf) können zwar kaum überraschen. Dennoch wäre die Fachwelt begeistert, wenn einem der Teams sein Vorhaben gelänge. Denn beide basteln an einem sogenannten Quantencomputer, einem Gerät, das eines Tages herkömmliche Computer in den Schatten stellen soll. Die Idee, die Gesetze der Quantentheorie auszunutzen, kam bereits Anfang der achtziger Jahre auf, als Wissenschaftler begannen, die Grenzen der Computertechnik theoretisch auszuloten. Ihre Grundüberlegung: Schaltkreise werden immer enger auf die Chips gepackt; irgendwann könnten einzelne Bausteine nur noch aus wenigen Atomen bestehen. Sollte die Miniaturisierung in gleichem Tempo weitergehen, wird es in etwa zwanzig Jahren soweit sein. Im atomaren Maßstab gelten indes die Regeln der Quantenmechanik, die mit konventioneller Computertechnik unvereinbar sind. Die Strategie der Verkleinerung wäre damit am Ende. Vor fünfzehn Jahren stellte der Physiknobelpreisträger Richard Feynman ein theoretisches Modell auf, wie mit einem Quantensystem gerechnet werden könne. Mit einer solchen Maschine wollte er vor allem quantenphysikalische Experimente simulieren. Denn normale Computer sind dazu zu langsam und verfügen nicht über genügend Speicher. Was damals graue Theorie war, konkretisiert sich nun allmählich. Erste Bauteile für Quantencomputer haben bereits funktioniert - wenn auch nur für Sekundenbruchteile. Die Forscher verfolgen verschiedene Konzepte: Die Gruppen in Los Alamos und Boulder arbeiten mit Ionen, die sie in Magnetfallen festhalten; am California Institute of Technology experimentiert ein Team mit Lichtteilchen (Photonen); Wissenschaftler von Hitachi wiederum tüfteln an sogenannten Quantendots. Dabei werden einzelne Elektronen in Käfigen aus Atomen gefangen. Wie jeder PC stellt auch ein Quantencomputer sämtliche Daten als Folgen von Einsen und Nullen dar. Allerdings lautet die physikalische Umsetzung nicht "Strom ein - Strom aus", sondern "Quantenzustand 1 - Quantenzustand 2"; diese Zustände werden bei Ionen und Elektronen durch das Energieniveau, bei Photonen durch die Polarisationsrichtung bestimmt. Nach der Quantentheorie ist nämlich die subatomare Welt von unsteten Gesellen bevölkert, die sich nicht gerne auf etwas festlegen, sei es ihr Zustand oder ihr Aufenthaltsort. Am drastischsten zeigt dies das sogenannte Doppelspalt-Experiment, bei dem Licht auf eine Platte mit zwei dünnen, eng nebeneinanderliegenden Schlitzen fällt. Auf einem dahinterliegenden Schirm erscheinen dann nicht etwa zwei Lichtpunkte, sondern ein Muster von Ringen, das von der Interferenz der Lichtwellen herrührt - schickt man nur ein einziges Photon los, so scheint es während seiner Reise simultan beide Schlitze zu durchqueren. Ähnlich befinden sich auch die Teilchen in einem Quantencomputer gleichzeitig in zwei Zuständen. Zwei Stellen, sogenannte Qu-Bits, nehmen daher die vier Werte 00, 01, 10 oder 11 allesamt auf einmal an; zwei Bits in einem herkömmlichen Computer stehen hingegen immer nur für einen Wert. Wie ein Lichtteilchen gleichzeitig auf mehreren Pfaden fliegt, könnte ein Quantencomputer somit auf vielen Wegen parallel rechnen. Mit zwei Qu-Bits arbeitete er wie vier nebeneinanderlaufende Elektronenrechner. Dreißig Qu-Bits erlaubten es bereits, Rechnungen mit einer Milliarde Zahlen simultan durchzuführen. Allerdings gibt es einen kleinen Haken dabei: Die verschiedenen Ergebnisse lassen sich nicht einzeln ermitteln. Analog zum Interferenzmuster im Doppelspalt-Experiment ergibt sich aber eine Art Gesamtresultat. Quantenrechner sind somit nicht einfach Computer, die hochgradig parallel und deshalb irrwitzig schnell laufen. Denn nicht in jedem Fall läßt sich mit ihrem Ergebnis etwas anfangen. In der Tat dauerte es Jahre, bis eine Aufgabe gefunden war, die der neuen Rechentechnik auf den Leib geschneidert ist. 1994 schrieb Peter Shor von den Bell Laboratories des Telephonriesen AT&T in New Jersey ein Programm speziell für Quantencomputer, das Zahlen in ihre Primfaktoren zerlegt. Es testet zwar gleichzeitig viele potentielle Faktoren, im Gesamtresultat tauchen aber nur die Zahlen auf, die zur richtigen Antwort führen. "Alle anderen löschen sich gegenseitig aus", erklärt Shor. Herkömmliche Computer sind gut im Multiplizieren, aber schlecht darin, große Zahlen in Faktoren zu zerlegen. Auf dieser Tatsache beruhen viele Verfahren der Nachrichtenverschlüsselung. Vor wenigen Wochen stellte Samuel Wagstaff von der Purdue-Universität in Indiana einen neuen Rekord auf: Es gelang ihm und seinen Mitarbeitern, eine 167stellige Zahl in ihre 80- und 87stelligen Faktoren zu zerlegen. Die dazu nötige Computerrechenzeit belief sich auf mehr als zehn Jahre. "Eine Quantenfaktorisierungsmaschine, die Shors Programm befolgt, könnte eine 250stellige Zahl in wenigen tausend Rechenschritten - in Bruchteilen einer Sekunde - zerlegen", schwärmt David Deutsch, einer der Pioniere des Quantencomputers. Der Physiker von der Universität Oxford verficht die "Theorie der vielen Universen", die nur eine kleine Minderheit der scientific community vertritt. Ihr zufolge gibt es neben unserem Universum viele parallele Welten, die denselben Naturgesetzen gehorchen, aber in denen sich die Teilchen an anderen Positionen befinden. Für Deutsch fliegt das Photon im Doppelspalt-Experiment in einem Universum durch den einen Schlitz, in einem anderen durch den anderen und geht genauso der Quantencomputer in vielen parallelen Welten auf Rechenreise. Die Anzahl der Universen, die an der Faktorisierung einer 250stelligen Zahl beteiligt seien, veranschlagt er mit 10500 (eine Eins mit 500 Nullen) weit höher als die der Atome in unserem Universum. Letztere wird auf eine etwa 80stellige Zahl geschätzt. Ob Quantencomputer jemals einen Code knacken können oder nur ein Gedankenexperiment der Physiker bleiben, ist freilich umstritten. Rolf Landauer vom IBM-Forschungszentrum in New York etwa sagt: "Ich kann nicht beweisen, daß es unmöglich ist. Aber ich würde mein Geld nicht in ein Unternehmen investieren, das vorschlägt, einen Quantencomputer zu bauen." Denn ein solcher Rechner wäre extrem anfällig. Das Quantensystem - seien es Ionen, Elektronen oder Photonen - reagiert auf die kleinste Störung. Einzelne verirrte Elektronen, elektromagnetische Streufelder, Schwankungen der Temperatur oder kleinste Erschütterungen können die Rechnungen zum Absturz bringen. Selbst wenn die Außenwelt völlig ausgeschaltet sei, glaubt Landauer, würde immer etwas schieflaufen. Fielen etwa die Laserpulse, die die Teilchen vom einen Zustand in den anderen bringen, ein bißchen zu schwach oder zu stark aus, stimmte schon nichts mehr. Die Ingenieure müßten demnach eine fast perfekte Maschine bauen, sagt Landauer, und das sei bisher noch niemandem gelungen. Deutsch hält dagegen, eine Faktorisierungsmaschine könne ruhig Fehler machen, da es einfach zu prüfen sei, ob eine Zahl tatsächlich eine andere teile. Da sie Shors Programm in Windeseile absolviere, könne sie es tausendmal nacheinander tun, damit wenigstens ein Durchlauf korrekt sei. "Laßt einfach die Maschine laufen, bis sie die richtige Antwort ausspuckt", argumentiert der englische Physiker. Dennoch bleibt die Zukunft des Quantencomputers so ungewiß wie die Flugbahn eines Photons. Anhänger von Deutschs Sicht der Dinge können sich freilich damit trösten, daß eine solche Maschine vielleicht schon existiert - in einem parallelen Universum.